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"Die leistungsstarke Seite von Tutzing"

Bei der Kulturnacht am Freitag sprudelte der Ideenreichtum an vielen Plätzen der Gemeinde

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Eröffnung der Tutzinger Kulturnacht

Die Aula der Grund- und Mittelschule konnte die vielen Besucher kaum fassen. Es war viel Betrieb, der Lautstärkepegel war nicht gerade niedrig, als am Freitag die Eröffnungsveranstaltung der Tutzinger Kulturnacht begann. Nachdem Schulrektorin Anne-Katrin Schallameier ein paar Begrüßungsworte gesprochen hatte, ging Bürgermeisterin Marlene Greinwald ans Rednerpult. Sie kam erst mal gar nicht zu Wort, so laut war es im Saal. Aber diese Atmosphäre der offenkundig angeregten Gespräche spiegelte genau das wider, was die Kulturnacht sein soll: eine Plattform für Unterhaltung, für kulturelle Impulse, für Kommunikation. Und wenn dauernd Kinder herumrannten und permanent etwas los war, dann schien das Motto dieses Abends perfekt getroffen worden zu sein: Kultur bewegt!

Schüler verbinden Gymnasium und Ortsmuseum

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Das Kieferer Puppentheater kam eigens nach Tutzing

Um viele Sorgen vor allem finanzieller Art beneideten andere Gemeinden Tutzing nicht, sagte Bürgermeisterin Greinwald, als sie dann endlich ihre Rede halten konnte. Aber viele Kommunen beneideten Tutzing um die Kulturnacht. "Sie zeigt die leistungsstarke und solidarische Seite unserer Gemeinde", fügte sie stolz hin schwärmte von dem "wunderbaren, beeindruckenden Programm".

Das bewiesen zahlreiche Mitwirkende gleich bei der Eröffnung, indem sie unter der Leitung der Lehrerinnen Kathrin Knauer-Blaich und Carolin Krebs die Schule tatsächlich klingen ließen. Der Eltern-Lehrer-Chor leitete das große kulturelle Angebot dieses Abends ein. Als etwas später Schüler "Höchste Zeit" sangen, ein recht mitreißendes Stück aus dem kürzlich von ihnen zum Thema Plastikmüll einstudierten Musical "Plastik Planet", da wippte Kulturreferentin Brigitte Grande begeistert mit. Kultur bewegte unterdessen auch andere, die gar nicht zuhörten. Draußen auf dem Schulhof war ein ständiges Kommen und Gehen. Kinder rannten zwischen den Reihen herum, ein Bub radelte auf dem Schulhof mitten durch die Menge.

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Poccis und Blüten beim Ortsmuseum: Gymnasiasten kamen maskiert © L.G.

Die eigens aus Kiefersfelden angereiste Dorle Dengg hatte unterdessen ihr "Kieferer Puppentheater" im Ortsmuseum am Thomaplatz aufgebaut. Dort, wo zurzeit eine Ausstellung über den Grafen von Pocci, einen begnadeten Satiriker, läuft, führte sie eine Kasperlaufführung vor, die es in dieser Form noch nie gegeben hat. Das ist nämlich ihr Markenzeichen: Sie spricht alle Texte völlig frei, so dass die Stücke immer ganz anders verlaufen, auch wenn sie sie schon 30 oder 40 Mal präsentiert hat. Am Klavier begleitete sie ein Pianist mit eingängigen Melodien: "In München steht ein Hofbräuhaus", "Wenn ich ein Vöglein wär'", Boccherinis berühmtes Menuett. Graf von Pocci hat den Kasperl Larifari berühmt gemacht, und in Tutzing sind beide zurzeit Mittelpunkte des Museums. Aus diesem Anlass kamen von drüben, aus dem Gymnasium, eigens mehr als 30 Schüler herüber ins Ortsmuseum, die einen verkleidet als Graf Pocci, die anderen maskiert als Tag- und Nachtschatten, denen der Graf mit einer Abhandlung über "Viola tricolor" zu literarischen Ehren verholfen hat. Von solchem Hin und Her, von solchem Miteinander lebt die Tutzinger Kulturnacht: Man schaut hier und dort vorbei, man unterstützt sich gegenseitig, es gibt ein großes Zusammengehörigkeitsgefühl. Kultur bewegt.

Eine Frau aus dem 3-D-Drucker

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Kultur bewegt manchmal in eigenwillige Richtungen: Die Leinwand bekamen etliche Besucher des Gymnasiums von hinten zu sehen

Auch im Gymnasium nebenan trafen derweil immer mehr Besucher ein. Schüler übertrafen sich in der Aula fast gegenseitig an Höflichkeit, um all den Gästen kulinarische Besonderheiten zu präsentieren. Dann wurde eine große Leinwand von der Decke herunter gezogen, denn zum Programm gehörte auch eine Filmvorführung. Dummerweise saßen etliche Zuschauer so, dass sie die Leinwand nur von hinten sehen konnten. Also mussten sich alle, die quasi abgeschnitten waren, einen anderen Platz suchen.

Aber irgendwie gelang es, und die Besucher wurden Zeugen einer Aufführung, die es bisher nur einmal im Tutzinger Kurtheater gegeben hat: "Printed Future" wurde gezeigt, ein Film, den Schüler produziert haben und der von einer im Jahr 2050 mittels 3-D-Drucker erzeugten Frau namens Blueana handelt. Sie kann eigentlich Emotionen ihrer Mitmenschen nur per integriertem Sensor erkennen, lernt aber einen jungen Mann kennen und beginnt Gefühle zu entwickeln. Dieser Stoff hätte eigentlich für viel Gesprächsstoff sorgen können, doch dann folgte schon Musik: Das Schulorchester spielte unter seinem Dirigenten Stephan Beck einen Walzer des Russen Dimitri Schostakowitsch, dann den Cancan des Deutsch-Franzosen Jacques Offenbach aus "Orpheus in der Unterwelt" - und da kamen wieder die Pocci- und Viola-tricolor-Schüler ins Spiel, die sich dazu rhythmisch auf und ab bewegten. Kultur bewegt. Anschließend entführte die Schulband, ebenfalls geleitet von Beck, die Gäste erst ins Jahr 1969, mit Santanas "Oye Como va", das eigentlich vom Latinjazz-Musiker Tito Puente stammt, und dann noch weiter in die Vergangenheit mit einem Rock'n'Roll-Klassiker aus den Fünfzigern, "Shake rattle and roll". Kultur bewegt oft gerade in die Historie.

Unterdessen bewegte sich auch im Roncallihaus ziemlich viel. Bei Tänzen aus aller Welt durften alle, die Lust hatten, mitmachen, denn das war die Parole, die Monika Titz von der Volkshochschule Starnberger See ausgegeben hatte. Die Freude an der Bewegung durchflutete den Saal. Im Sitzungssaal des Rathauses stiegen unterdessen mehrere gut informierte Tutzinger tief in die Historie der Gemeinde ein. Der Ortsgeschichtliche Arbeitskreis präsentierte "Skurriles, Fakten und G'schichterl" auf ebenso amüsante wie interessante Art. Da gab es Informationen von Anja Behringer über "Weiberleut und ihre Rechte", man erfuhr von Claus Piesch etwas über "Polizei und Gericht", Elke Schmitz beleuchtete die "Sommerfrische und dergleichen", Manfred Grimm verglich "Bilder heute und damals".

Europäisches Handwerk mit arabischen Einflüssen

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Wozu Abfall doch gut sein kann: Dieses Möbelstück war bei der Kulturnacht im Tutzinger Gymnasium zu bestaunen

Auch Bilder, Kunstgegenstände und Installationen bereicherten die Kulturnacht. Im Rathaus unternahmen die sehr aktiven Mitglieder der Fotogruppe Traubing mit sehenswerten Aufnahmen einen Streifzug durch die Welt. Im Gymnasium präsentierten Schüler ausgefallene Objekte, die sie angefertigt haben. Da kam Abfall in Möbelstücken zu neuen Ehren, und eine "Ungerechtigkeitstaube" wurde schwarz vor Ärger.

Wieviel Kultur auch international bewegt, zeigte sich zum Beispiel in der Akademie für politische Bildung. Da traf der Orient auf den Okzident. So lautet der Titel einer Ausstellung mit Werken des Malers Peter Grochol, die dort gezeigt wird. Der Künstler selbst war an Ort und Stelle. Er spielte am Klavier, sein Sohn Roman begleitete ihn mit Percussion. Grochol versuchte zu belegen, wie ihn Malerei und Musik gegenseitig inspirieren und wie sich europäisches Handwerk mit arabischen Einflüssen mischt. International ging es auch im Gymnasium weiter: Die beiden leidenschaftlichen Musiker Julia Ito aus Japan und Utum Yang aus Südkorea präsentierten dort auf sehr harmonische Weise sein "Freundschaftskonzert Deutschland, Japan und Korea". Mit dem gleichen Programm treten sie demnächst, am 27. Oktober, im Münchner Gasteig auf.

Extravagante musikalische Mixturen

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Die Aula des Tutzinger Gymnasiums bei der Kulturnacht von außen

Nebenan in der Pfarrkirche St. Joseph folgten zu dieser Zeit etwa 200 Besucher einer extravaganten musikalischen Mixtur, die Werner Zuber an der Orgel, Stephan Holstein mit Saxophon und Klarinette und die Frauenschola St. Joseph ausgehend von mittelalterlichen Mariengesängen schier umwerfend improvisierten. Eine weitere interessante Mischung gab es zur gleichen Zeit in der evangelischen Christuskirche. Dort fand sich der Chor "Herr Käthe" auf ganz eigenwillige Art zu einem gemeinsamen Konzert mit der Blasmusik Bernried zusammen.

Auch politische Beiträge fehlten nicht an diesem Abend in Tutzing. In der Evangelischen Akademie sprach Eva Feldmann-Wojtachnia von der Forschungsgruppe Jugend und Europa der Luwig-Maximilians-Universität München, und anschließend stellte sich Vincent-Immanuel Herr, Autor und Mitinitiator der Free-Interrail-Kampagne der Europäischen Kommission, mit einer schwierigen Frage der Diskussion: Wie gelingt eine gemeinsame Identität in Europa? Die Initiative Free-Interrail will erreichen, dass Bürger der Europäischen Union Interrail-Tickets kostenlos nutzen können.

Drei Lehrkräfte der Musikschule begeistern in der Galerie

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Die Ungerechtigkeitstaube: Sie ist schwarz geworden und weint Blut, erläuterte Emily Prieger, die das Tier im Gymnasium ausgestellt hat © L.G.

Mit höchst unterschiedlichen musikalischen Beiträgen ging es weiter in den Abend der Kulturnacht hinein. In der Galerie am Rathaus begeisterten drei Lehrkräfte der Tutzinger Musikschule mit einem Kammerkonzert ihre Zuhörer: George Davis (Klavier), Jutta Haberhauer (Querflöte) und Anita Schmid-Egger (Violoncello). Sie überzeugten mit der spielerisch-heiteren "Summer Music" des Engländers Richard Rodney Bennett, einem raffinierten Tango des Argentiniers Astor Piazzolla und einem Trio der Französin Louise Farnen, das wegen seiner klassischen Form mit den Quartett von Mozart verglichen wird.

Eine ganz besondere Mischung wurde gleichzeitig in der Evangelischen Akademie geboten: Dort trat "Einshoch6" auf, eine Münchener Band, die deutschsprachigen Hip-Hop mit Elementen der klassischen Musik zusammenführt. Im Roncallihaus faszinierte zu dieser Zeit wieder das Tutzinger Akkordeonorchester "Diskanto" eine zunehmend größer werdende Fangemeinde mit einem bunten Programm bekannter und mitreißender Melodien.

Aus der Bewegung zur Ruhe

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Kultur bewegt Schüler: Gymnasiasten haben Ideen an die Wand gehängt © L.G.

Spät am Abend gab es dann noch auf der Rathaus-Tenne Funk, Fusion und Soul der 1970er und 1980er Jahre in neuen Interpretationen der Band „Ginger Bad Boys and Friends“. Im Roncallihaus traten gleichzeitig "Darling and the Darling Springs" auf, eine Gruppe, zu der sich vor etwa einem Jahr ein paar hartgesottene Jazz-Musiker und eine Schauspielerin zusammengefunden haben. Mit dabei waren bei der Kulturnacht Stephan Birk (Mandoline, Dobro, Pedalsteelguitar, Gesang) aus Dießen, Christian Benke (Gitarre, Gesang) aus Unterzeismering, Bernd Hess (Banjo, Gitarre, Gesang und, Christine Adler (Gesang), beide aus Tutzing. Ihre bevorzugten musikalischen Stilrichtungen sind Bluegrass, American und Country. "Aus der Bewegung zur Ruhe" begaben sich gleichzeitig in der Christuskirche Peter Grampp (Gitarre) und Bianca Schröder (Fagott) mit Liedern aus Taizé zum Mitsingen, Zuhören und Nachdenken.

Ein echtes Schmankerl gab es dann zum Abschluss der Kulturnacht noch im Kino Kurtheater: "Doktor Murkes gesammeltes Schweigen", einen Fernsehklassiker aus dem Jahr 1963 nach einer Satire von Heinrich Böll, von und mit Dieter Hildebrandt. Ein wunderbarer Ausklang nach sieben Stunden kultureller Vielseitigkeit, die es in sich hatten.

Dass Kultur bewegt, werden viele Besucher nach diesem Abend bestätigt können: Wer möglichst viel von allem mitbekommen wollte, musste sich notgedrungen recht eifrig von einem Aufführungsort zum anderen bewegen.

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