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Auf der Suche nach Tutzings Zielen

Die Gemeinde sucht einen Moderator für einen wichtigen Prozess

„Leitziele Tutzing 2030 und ISEK Verfahren“: So lautete ein Punkt der Tagesordnung bei der jüngsten Tutzinger Gemeinderatssitzung, der eine längere Diskussion entfachte. Eine längerfristige Strategie für Tutzing scheinen die meisten Kommunalpolitiker für sinnvoll zu halten. Doch welche Vorgehensweise dabei zielführend ist, darüber gingen die Meinungen auseinander.

Weitgehend Übereinstimmung bestand darin, dass der Prozess von einem Moderator begleitet werden sollte und dass eine Beteiligung der Bürger von zentraler Bedeutung ist. Für weitere Informationen will Bürgermeisterin Marlene Greinwald nun zunächst jemand nach Tutzing holen, der sich eventuell auch als Moderator eignet. Für diese Vorgehensweise gab es einen einstimmigen Beschluss.

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Was soll aus Tutzing werden?
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Handlungskonzept für die künftige Ortsentwicklung von Tutzing und aller Ortsteile

Dr. Wolfgang Behrens-Ramberg (Tutzinger Liste, TL) hatte im Mai dieses Jahres folgenden Antrag gestellt:

„Die Gemeinde, konkret Bürgermeisterin und neuer Gemeinderat, möge sich kurzfristig der Erstellung eines integrierten Handlungskonzepts für die künftige Ortsentwicklung von Tutzing und aller Ortsteile unter dem Titel ‚Leitziele Tutzing 2030‘ sowie daraus ableitend der Erstellung und Umsetzung eines Integrierten Städtebaulichen Entwicklungskonzeptes (ISEK) und schließlich der Beantragung von staatlichen Mitteln für die Städtebauförderung annehmen. Die Erstellung ist aus Sicht der TL vorrangig eine politische Aufgabe, die vom Gemeinderat konsequent getrieben werden muss und eine breite Einbeziehung und Unterstützung der Bürgerschaft erfordert.“

Zum „ISEK“ erläuterte die Tutzinger Liste:

„ISEK stellt einen Gesamtzusammenhang in der Ortsentwicklung her und spannt einen Handlungsrahmen auf, der über die Einzelfallbetrachtung und den Einzelstandort hinausgeht. Zum Beispiel sind dabei der öffentliche Nahverkehr und die Anbindung der Ortsteile ebenso Inhalt wie bestehende Bauleitplanungen, Infrastrukturmaßnahmen, die Nahversorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs, der Tourismus oder die Verkehrslenkung.“

Schon erledigte Vorarbeiten

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Charakteristisch für Tutzing: Katholische Pfarrkirche St. Joseph, Rathaus und Lindlwiese

Im Juli verwies der Architekt Martin Büscher auf etliche schon erledigte Vorarbeiten durch die Stadtplaner Prof. Florian Burgstaller und sein Büro sowie die Landschaftsplaner Harry Dobrzanski und Monika Treiber. Dabei habe es Analysen des Städtebaus und der verschiedenen Nutzungsformen wie Gewerbe, Bildung, Wohnen und Gastronomie gegeben, unterteilt nach den Zonen entlang der Hauptstraße, am Seeufer, im Bereich zwischen Hauptstraße und Bahn, entlang der Bahnlinie sowie oberhalb der Bahn.

Der Gemeinderat beauftragte Büscher im Juli mit einer Zusammenstellung und einem Überblick, die er nun am Dienstag vorlegte. Dabei verwies er auf charakteristische Merkmale von Tutzing wie die Türme der Kirche St. Joseph, das Krankenhaus, die Akademien oder den Dampfersteg. Er bezeichnete ISEK als Rahmen für die weitere Entwicklung von Tutzing, der als Grundlage für Entscheidungen des Gemeinderats dienen könne. Mit Hilfe von Bebauungs- und Rahmenplänen seien zwar schon viele Einzelfragen in größeren Zusammenhang gesetzt worden. Das reiche jedoch nicht aus für eine Perspektive, wohin die Entwicklung der Gemeinde gehen soll.

Ein ISEK-Konzept gilt als Voraussetzung für staatliche Städtebauförderungen. Die Kosten von ISEK müsse eine Gemeinde aber selbst tragen, sagte Büscher.

Bürgerbeteiligung als "starkes Element"

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Für Tutzing gab es schon allerlei Ideen: Diese Skizze hat Architekt Büscher vor einiger Zeit zur Hauptstraße vorgestellt

Immer wieder rückten mehrere Sprecher das Thema Bürgerbeteiligung in den Mittelpunkt. Büscher bezeichnete sie als ein „starkes Element“: Es sei notwendig, das Wissen der Bevölkerung in den Prozess einfließen zu lassen und die Ergebnisse so breit zu kommunizieren, dass sie sich der Bürgerschaft mitteilten. Daraus seien dann Leitlinien zu entwickeln.

„Was rauskommt, entscheidet der Bürger“, betonte auch Bürgermeisterin Greinwald: „Was ist ihm wichtig in Tutzing?“ Claus Piesch (Freie Wähler) sprach sich auch besonders für eine Beteiligung der jungen Generation aus. Dazu sagte Bürgermeisterin Greinwald, in einem anonymen Verfahren werde es eine gerechte Verteilung auch nach Altersgruppen geben, bei der die Jugendlichen genauso mit beteiligt würden: „Das kann sehr interessant sein und ganz neue Ideen bringen.“ Caroline Krug (ÖDP) gab allerdings zu bedenken, dass eine breite Bürgerbeteiligung zu Corona-Zeiten schwierig sein werde. Vielleicht könne man dafür kleinere Gruppen bilden, meinte sie.

Zur Vorgehensweise sagte Büscher, ein Büro werde mit ISEK beauftragt, weitere Beteiligte seien die Gemeindeverwaltung und der Gemeinderat. In dieser „Verschränkung“ gebe es verschiedene Verfahrensschritte. Behrens-Ramberg sprach von einem „Prozess mit vielen Akteuren“. Er wunderte sich über die Akzentsetzung von Büscher, der zunächst ausführlich ISEK behandelt und dann erst von Leitlinien gesprochen habe. Leitlinien seien zu wenig konkret: „Es müssen Leitziele sein.“ In seinem Antrag habe er dagegen die Leitlinien als Voraussetzung genannt und erst darauf aufbauend ISEK erwähnt.

Büscher erwiderte, die Grundlagenermittlung sei Voraussetzung, um eine Diskussion in den Fraktionen des Gemeinderats zu ermöglichen. Es handele sich um zwei voneinander unabhängige Verfahren. Stefan Feldhütter (Freie Wähler) bezeichnete die Grundlagen-Analyse von Büscher als gute Basis, Leitlinien zu entwickeln und sie den Bürgern vorzustellen.

Zeitplan umstritten

Dr. Thomas von Mitschke-Collande (CSU) mahnte einen straffen Zeitplan an: „Wir brauchen nicht bei Adam und Eva anfangen.“ Er regte an, fünf bis sieben andere Gemeinden, die solche Konzepte bereits erarbeitet haben, als Beispiele zu nehmen und aufbauend auf deren Erfahrungen acht bis zehn Handlungsfelder für Tutzing zu definieren. Diese Arbeit müsse bis zum Frühjahr 2021 erledigt sein. „So genannte Leitziele und Prioritäten sind wunderbar“, sagte Mitschke-Collande. Aber bei begrenzten Mitteln sei entscheidend: „Was mache ich weniger? Mehr Kultur zu Lasten des Verkehrs?“ Das sei die eigentlich schwierige Diskussion, die zu führen sein werde.

Bernd Pfitzner (Grüne) bezeichnete es als „sehr sportlich“, bis März oder April 2021 fertig sein zu wollen: „Ob wir das in der Kürze der Zeit hinbekommen, das alles auf einer großen. Bürgerbeteiligung fußen zu lassen?“ Auch Feldhütter meldete in dieser Hinsicht Zweifel an. Die einen, sagte Pfitzner, würden vielleicht Tutzing als Schlafstadt von München wollen, die anderen als Ferienort, wieder andere würden den See für sich allein und Auswärtige draußen haben wollen. Gewiss könne man sich auch andere Orte anschauen: „Aber die Leitlinien von anderen würde ich nicht übernehmen wollen“, sagte Pfitzner, „vielleicht haben die Tutzinger ganz andere Vorstellungen.“ Dazu konkretisierte Mitschke-Collande, die Vorbilder anderer Gemeinden müssten auf Tutzing angepasst werden. Es gehe darum, schnell und zügig Leitziele zu definieren, um sicherzustellen, dass die richtige Richtung eingeschlagen werde: „Das sind noch keine Maßnahmenprogramme.“

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Ferienort? Schlafstadt? Wie hätten's die Tutzinger gern?

Konzentration auf städtebauliche Themen zu eng

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Als Edeka noch in der Ortsmitte war: Einzelhandel im Zentrum ist vielen Bürgern wichtig © Fotos: L.G./BG

In die falsche Richtung könne man gar nicht gehen, sagte dazu Bürgermeisterin Greinwald, weil ja die Bürger einbezogen würden. Einer ihrer wichtigsten Punkte scheine zurzeit zu sein, wie wieder schnell ein Lebensmittelgeschäft in die Ortsmitte zu holen sei. Ein Leitziel sei nicht Einzelhandel im Ortszentrum, erwiderte Mitschke-Collande, sondern „auf sehr viel höherem Niveau“. Büschers Präsentation hatte ihm „zu stark städtebaulichen Charakter“. Was in den ersten drei Jahren der Ära Wanner erarbeitet worden sei, finde man bei Büscher beispielsweise nicht. Zur Zeit des früheren Bürgermeisters Dr. Stephan Wanner waren in Tutzing unter Mitwirkung zahlreicher Bürger etliche Arbeitskreise gebildet worden. Sie behandelten über längere Zeit konkrete Themen, nämlich Energie und Umwelt, Gewerbe, Kultur, Ortsentwicklung, Partnerstädte, Soziales, Tourismus und Verkehr.

Bürgermeisterin Greinwald gab Mitschke-Collande recht. Eine Konzentration auf die städtebaulichen Themen sei zu eng: „Wir sollten es weiter fassen.“ Vielleicht seien die Bürger an anderen Aspekten interessiert. Auch bei der Regierung müsse man sich erkundigen, welche Möglichkeiten es für Tutzing gebe.

Am Schluss der Diskussion zog Greinwald dieses Fazit: „Ich habe das Gefühl, es ist immer noch nicht ganz klar, wie das läuft.“ Offenbar gebe es im Gemeinderat ganz unterschiedliche Vorstellungen. Mit Unterstützung eines Moderators hofft die Rathauschefin nun auf Fortschritte.

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Kommentare

So manche Klarstellung aber auch einen kritischen Blick auf den Verlauf der Sitzung findet sich bei den Bürgern, die diesen wichtigen Prozess angestoßen haben und engagiert voran treiben. Wen es interessiert siehe www.tutzinger-liste.de/blog/gemeinderat-unvorbereitet-diskussion-losgeloest-von-antrag/
Wenn die Bürgerschaft breit und ohne Ausnahmen beteiligt werden soll, wäre dann nicht sinnvollerweise eine Befragung der betroffenen Bürger eine der ersten grundlegenden Schritte? (Neben oder direkt nach der Auswahl der Moderation?)

Beipielsweise:
-> Was gefällt den Bürgern in Tutzing besonders gut? Was sollte erhalten bleiben?
-> Wo hat Tutzing aus Sicht seiner Bürger besonderen Nachholbedarf?
-> Wie stellen sich Tutzings Bürger ihren Ort in 10 Jahren vor?
(Nicht vergessen, dass die Welt um uns herum dann eine andere sein wird: technologisch, wirtschaftlich, demografisch, usw.
Auch wir selbst werden dann jeweils 10 Jahre älter sein. Jugendliche werden dann erwachsen sein. Andere werden bis dahin Kinder
bekommen und als Eltern Verwortung tragen. Und die Silberrücken von heute werden dann vielleicht ihren ersten Bypass hinter sich
haben und über Rückenprobleme klagen?)
-> Wären die Bürger bereit, selbst an diesem Prozess aktiv mitzuarbeiten? (Ehrenamtlich mit oder ohne Aufwandsentschädigungen?)

Die Vorarbeiten aus der Ära Wanner in allen Ehren, aber liegt dies nicht selbst bereits wieder ca. 10 Jahre zurück? Hier will man doch 10 und mehr Jahre in die Zukunft gestalten.
(Bearbeitet)
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