Gemeindeleben
22.4.2023
Von vorOrt.news

Pro und contra Gemeinderats-Kandidatur

Die Tutzinger Liste sucht ihren Weg – Ein Mandat gilt als unzureichend – „Wir werden abgelehnt“

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Bürgerverein - passt das zum Gemeinderat? Darüber gab es bei einem Treffen der Tutzinger Liste im Lobster-Gebäude eine intensive Diskussion © L.G.

Die „Tutzinger Liste“ hat sich quasi einer Selbstanalyse unterzogen: Sie sieht sich als „Bürgerverein“, nicht als Partei - aber passt das überhaupt mit einer Kandidatur für den Gemeinderat zusammen?

„Bei den meisten Projekten, die wir als Tutzinger Liste aufgegriffen haben, sind wir nicht auf offene Türen im Rathaus gestoßen“, sagte Vorstandsmitglied Lucie Vorlíčková bei einem Treffen im Lobster-Gebäude: „Wir werden nicht begrüßt, wir werden abgelehnt.“ Es sei „kein Miteinander“. Es gebe Widerstand im Rathaus und teilweise auch im Gemeinderat: „Deshalb überlegen wir: Wie machen wir weiter? Stellen wir uns der Kommunalwahl 2026?“

Hierzu gab es bei dem Treffen sehr unterschiedliche Meinungen. Die einen neigten zum Abschied vom Gemeinderat, die anderen wollen die Tutzinger Liste unbedingt weiterhin im Kommunalgremium vertreten sehen. Die Diskussion drehte sich um die Frage, worum es sich bei dem Engagement des Bürgervereins handele: Ist das ein rein gemeinwohlorientiertes ehrenamtliches Engagement? Löst man uneigennützig und unpolitisch Probleme der Bürgerschaft und des Gemeinderats? Einige Anwesende vertraten die Auffassung, dass jede Wortmeldung ein Akt des politischen Handelns sei und dass die Tutzinger Liste Partei werden müsse, um etwas bewirken zu können und mit ihrem Anspruch, etwas gestalten zu wollen, vom Bürger verstanden zu werden. Dann sei es auch sinnvoll, die politische "Power" über eine Erhöhung der Zahl der Mandate von 1 auf x anzustreben.

Nach langer Diskussion scheint eine Kandidatur der Gruppe bei der Kommunalwahl 2026 wahrscheinlich zu sein. Doch ein einziges Gemeinderatsmandat wie bisher gilt in diesem Kreis als wenig aussichtsreich. Als erstrebenswertes Ziel wurden mehrmals drei, einmal sogar bis fünf Mandate bezeichnet.

"Sinnloserweise Parteipolitik in einer kleinen Gemeinde"

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Wie geht es besser bergauf - mit oder ohne Gemeinderat? Das fragen sich (von links) Franz Schenk, Uli Dillmann, Lucie Vorlíčková, Andrea Behrens-Ramberg, Gerd Bittl-Fröhlich, Gisela Dillmann, Roberto Mestanza und Dr. Wolfgang Behrens-Ramberg. © L.G.

Einziger Gemeinderat der Tutzinger Liste ist seit 2014 Dr. Wolfgang Behrens-Ramberg, der auch ihr Vorsitzender ist. Das Gemeinderatsmandat helfe natürlich, Projekte nachzuverfolgen, sagte er: „Sonst fällt es sehr schwer - das Nachfassen ist eigentlich die wichtigste Aufgabe für einen Gemeinderat.“ Für jeden Antrag bräuchte man ansonsten mindestens 100 Unterschriften.

Das "Kernproblem" beschrieb Leopold Dillmann so: „Ihr seht euch als Bürgerverein, werdet aber weiterhin als Partei wahrgenommen.“ Wer einen Kandidaten in den Gemeinderat bringe, stelle sich auf eine Ebene mit einer Partei. „In so einer kleinen Gemeinde wird sinnloserweise Parteipolitik gemacht“, sagte Dillmann kritisch. Mit der Zugehörigkeit zum Gemeinderat verliere die Tutzinger Liste ihre Eigenschaft als übergreifender Verein. „Ihr müsstet eigentlich keinen eigenen Kandidaten stellen, sondern in verschiedenen Parteien Ideen einbringen“, sagte Dillmann.

„Parteipolitische Färbung hat in der Kommunalpolitik eigentlich nichts zu suchen“, sagte auch Behrens-Ramberg. Die kritischen Stimmen schränkte er ein wenig ein: Es gebe durchaus Themen, bei denen „fruchtbar zusammengearbeitet“ werde. Allerdings stelle sich auch immer die Frage, wer etwas auf den Tisch bringe: „Glänzt dessen Stern vielleicht heller als mein Stern?“ Für auffallend hält er auch eine gewisse Schwergängigkeit der kommunalen Abläufe. „Es dauert alles auch viel länger, als man es aus dem eigenen Geschäftsleben und Beruf kennt“, sagte er.

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"Parteibuch egal - es geht um Engagement Bürger für Bürger"

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Wie Zahnräder ineinander greifen, so hätte es die Tutzinger Liste gern in dieser Gemeinde - aber so ganz funktioniert das bisher offenkundig nicht © Tutzinger Liste

Gerd Bittl-Fröhlich, der von Anfang an dabei war, schilderte den Grundgedanken so: „Die Tutzinger Liste hat sich mit vielen Menschen aus unterschiedlichen Parteien gegründet, um übergreifend in Tutzing etwas zu verändern.“ Welches Parteibuch man habe, sei völlig egal – es gehe um ein Engagement von Bürgern für Bürger.

Es gebe jedoch nur wenige Bürger, die sich engagierten, und noch weniger, die öffentlich ihre Meinung sagten, gab Lucie Vorlíčková zu bedenken. Bürgerengagement funktioniere auch nur, wenn es der Rathauschef unterstütze, sagte sie unter Berufung auf entsprechende Studienergebnisse. Gisela Dillmann formulierte es deutlich: „Man hat Ideen, knallt aber jedesmal an die Wand der Ignoranz – das ist frustrierend.“ Etliche Leute trauten sich auch nicht: „Themen gibt’s genug, es ist aber ein frustrierender Prozess.“

Konkret erwähnt wurden bei dem Treffen etliche von der Tutzinger Liste verfolgte Themen, darunter die Zweitwohnsteuer. In diesem Zusammenhang habe es Vorwürfe gegeben, man habe Steuergeheimnisse verraten, und sogar mit der Rechtsaufsicht sei gedroht worden. „Da wird Druck ausgeübt, dass der Gemeinderat auf Linie gebracht wird: Klappe halten!“, folgerte Gerd Bittl-Fröhlich. Der komplette Gemeinderat habe ein Rundschreiben erhalten, dass es eine undichte Stelle gebe, sagte er sichtlich verständnislos.

Ein weiteres stark von der Tutzinger Liste angestoßenes Thema ist die Forderung nach einem so genannten Gemeindeentwicklungskonzept. „Es hat zwei Jahre Kampf gekostet, obwohl es einen gemeinsamen Antrag von neun Gemeinderäten gab“, berichtete Vorlíčková.

"Politisch Engagierte werden als Störenfriede abgetan"

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Für ein so genanntes Gemeindeentwicklungskonzept, kurz "GEK", plädiert die Tutzinger Liste seit langem © Tutzinger Liste

Die Tutzinger Liste habe sich auch für eine „echte Haushaltsdebatte“ eingesetzt, sagte Vorlíčková: „Aber darüber wird hinweggegangen.“ Weiter genannt wurden Grundlagenarbeiten für die Sanierung der Hauptstraße und den Kreisverkehr, Konzepte für die Sicherheit der Kinder vor der Schule, die Debatte um einen dritten Aufzug am Bahnhof und die Verbesserung der Bahnunterführung an der Heinrich-Vogl-Straße.

Die Tutzinger Liste habe sich um ein Gespräch mehrerer ihrer Vorstandsmitglieder mit der Bürgermeisterin bemüht, aber keinen Termin bekommen, berichtete Vorlíčková: „Wir mussten in die Bürgersprechstunde.“ Die Initiative „Tutzing klimaneutral 2035 bekomme alles: „Wir nicht.“ Bürgerschaftliches soziales, ethisches Engagement sei sehr willkommen. „Aber politisch Engagierte, die in die Kommunalpolitik eingreifen – oft ‚Gestalter‘ genannt – werden als Störenfriede und Kritiker abgetan.“

Ein "Schattenparlament"?

Kurz flammte bei dem Treffen die Frage nach lokalem Engagement ohne Zugehörigkeit zum Gemeinderat auf. Dabei fiel der Begriff „Schattenparlament“. Es gab aber eher Zweifel daran, dass eine solche Arbeit ohne kommunales Mandat Erfolg versprechen könnte. Dabei wurde auch daran erinnert, dass die Tutzinger Liste gerade auch angetreten sei, um Transparenz in die Gemeindepolitik zu bringen. Die Chancen dafür dürften aber bei Abwesenheit vom Gemeinderat noch viel geringer sein. So verwies Lucie Vorlíčková darauf, dass Vieles in nicht-öffentlichen Sitzungen behandelt werde.

Bericht über die Veranstaltung und die Diskussion auf der Webseite der "Tutzinger Liste":
https://www.tutzinger-liste.de/blog/buergervereinstreff-huerden-politischer-machtinteressen-ueberwinden/

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Kommentare

Liest sich wie die Beschreibung einer klassischen Dilemma-Situation. Aber ... wie so oft im Leben:
Situationen, in denen scheinbar kein Ausweg wirklich richtig erscheint, ist in Wahrheit keine Alternative ganz falsch.
Kopf hoch! Findet die beste Kombination...
Wenn die Realität wie beschrieben nicht so traurig wäre, müsste man fast schon wieder lachen. Aber vielleicht ist es ja genau das: Den „Kurzsichtigen“ in Rat und Verwaltung offen entgegenlachen, weil sie sich damit auch ins eigene Fleisch schneiden. Überparteilichkeit statt Überheblichkeit. Das wär‘s mal!
…ah, was schreib‘ ich. Passiert ja eh nicht! Da geht leichter mein Wunsch nach einem verregneten Sommer in Erfüllung.
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