Energie
23.7.2022
Von Günter Schorn

Noch viel zu tun für die Energiewende

Resümee der Klimatage Tutzing 2022 – Eine Fülle von Impulsen

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Zehn Tage lang haben die "Tutzinger Klimatage" ein vielseitiges und ansprechendes Programm geboten

Nach dem vielversprechenden Vernetzungstreffen der Initiative „Tutzing Klimaneutral 2035“ am 12. Mai im Rathaussaal begannen am 8. Juli die „Klimatage Tutzing 2022“. Flora Weichmann und Hanna Krause konnten ein interessantes Programm inklusiv Klima-Schatzsuche organisieren. Das Anliegen der Klimatage wurde für die Bürger*innen ganz offensichtlich mit der Schatzsuche beim Tutzinger Einzelhandel und der Gastronomie. Man sollte klimafreundliche und nachhaltige Produkte im jeweiligen Geschäft oder Gastbereich finden und sich seinen Fund auf einer Stempelkarte bestätigen lassen. Damit war ein guter Anfang für die Klimatage gesetzt.

Unter dem Motto „Mobilitätswende ist Klimaschutz“ fand am 12. Juli die Beradlung wichtiger Verkehrspunkte Tutzings mit Behandlung von Anliegen, Fragen und Vorschlägen statt. Martin Held, ADFC Tutzing, konnte am Tutzinger Rathaus neben zwölf weiteren Teilnehmern Flora Weichmann, die Tutzinger Mobilitätsbeauftragte, begrüßen. Nach Ende der Sitzung eines Gemeinderats-Ausschusses kamen noch Bürgermeisterin Marlene Greinwald und Gemeinderat Claus Piesch dazu. Aus den Erfahrungen und Anregungen der Gruppe konnten Empfehlungen für den Arbeitskreis Mobilität des Gemeinderats, die Gemeindeverwaltung sowie zum Teil auch für das Staatliche Bauamt Weilheim abgeleitet werden.

Übergang zum Gröberweg minus, Kreisel und Radschutzstreifen plus

Die vom Gemeinderat seit langem beschlossene, dringliche Verbesserung der Bahnunterführung Heinrich-Vogl-Straße war die erste Station. An der Station Bräuhausstraße Ecke Gröberweg / Pommernstraße wurde offensichtlich, dass diese äußerst unübersichtlich gestaltet ist. Dagegen war bei der Einmündung der Bräuhausstraße in die Lindemannstraße das einhellige Urteil der Gruppe, dass diese sehr gut gebaut ist. Ebenso wurden der Radschutzstreifen zum Kreisel und die neue Markierung mit Innenkreis von allen als gelungen empfunden.

Zum Thema Radschutzstreifen an der Hauptstraße ist eine Aktion zum gebotenen 1,5-Meter-Abstand nach Abschluss der Arbeiten im Abschnitt Hauptstraße Tutzing Nord geplant. In Garatshausen wurden der gerade ausgeführte Radschutzstreifen, die rote Markierung für die Einmündung der Straße nach Traubing und die Standfläche in der Mitte der Straße der Querung zum kombinierten Geh-/Radweg gelobt.

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Vorbild Wilpoldsried: Auf so gut wie allen öffentlichen Bauten PV-Anlagen

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Einer der Höhepunkte der Tutzinger Klimatage war ein Vortrag der Bürgermeisterin von Wilpoldsried über ihr "Energiedorf" im Midgardstadl © Korbinian Schlingermann

Der Höhepunkt der Klimatage war ein Vortrag von Bürgermeisterin Renate Deniffel zum „Energie- und Heimatdorf – Wildpoldsried“ am 14. Juli im Midgardstadl. Frau Deniffel konnte die mehr als 90 gespannt zuhörenden Gäste über ihr mehrfach von der EU für die Energiemaßnahmen prämiertes Dorf informieren. Seit über 20 Jahren wird im Gemeinderat in Wildpoldsried einvernehmlich über alle Parteigrenzen hinweg immer wieder dafür gesorgt, dass mehr regenerative Energie erzeugt als verbraucht wird, durch Bürgerbeteiligung Widerstände erst gar nicht entstehen können und damit die Lebensqualität der Bürger – vor allem der Kinder - geschützt wird. So werden 828 Prozent der benötigten Elektrizität und 60 Prozent des Wärmebedarfs erzeugt.

Wie das funktioniert, konnte Bürgermeisterin Deniffel anschaulich zeigen: Von vier Biogas-Anlagen werden mit einer Gasleitung neun Blockheizkraftwerks im Dorf und in einzelnen Weilern versorgt – und erst dort wird der Strom oder die benötigte Wärme erzeugt. Dann gibt es 160 thermische Solaranlagen mit gesamt 2300 Quadratmetern Fläche für die Warmwassererzeugung. Über 300 Photovoltaik(PV)-Dachanlagen produzieren 5540 Kilowatt-Peak (kWp). Auf so gut wie allen öffentlichen Bauten stehen PV-Anlagen.

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Die ersten Bürgerwindkraftanlagen wurden im, Jahr 2000 in Wildpoldsried gebaut. Mittlerweile stehen elf Bürgerwindkraftanlagen auf dem Höhenrücken, der die Grenze zwischen dem Ober- und Ostallgäu bildet. © Gemeinde Wilpoldsried / https://www.wildpoldsried.de/windkraft.html

Jeder Bauherr bekommt einen Teil des Grundstückspreises zurück, wenn er ein Passivhaus baut

Auch bei privaten Bauten geht Wildpoldsried innovative Wege: Jeder Bauherr bekommt einen Teil des Grundstückspreises zurück, wenn er ein Passivhaus baut. Den größten Bekanntheitsgrad erreichte das Energiedorf mit seinen Windrädern: Elf Windkraftanlagen mit gesamt 17,6 Megawatt Leistung stehen auf seiner Flur. Das alles wurde geschafft mittels Einstimmigkeit im Gemeinderat, Energieberatung, gut organisierter Bürgerbeteiligung und Mitwirkung bei Forschungsprojekten von renommierten Firmen und Instituten. Damit von den Wildpoldsrieder Erfahrungen auch alle profitieren können, gibt es Fortbildungen und Informationen für Gemeinden, Schulen, Lehrer, Universitäten undFirmen im dorfeigenen Ökologischen Bildungszentrum.

In der anschließenden Podiumsdiskussion erhielten die Tutzinger*innen Auskunft über die Art, wie in Wildpoldsried Klimaschutz betrieben wird: Bürger befragen, Fachleute einbeziehen, Fördermöglichkeiten finden - und dann anfangen. Probleme werden nicht als Hindernis, sondern als Aufgabe, die man lösen kann, betrachtet. Für Tutzing bedeutet dies, dass mögliche Klimaschutz-Maßnahmen nur gut vorbereitet und mit größtmöglicher Bürgerbeteiligung zum Erfolg führen.

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Klimaschutz erfordert größtmögliche Bürgerbeteiligung - davon waren Marco Lorenz, Uta Waldau, Lena Kerbs, Renate Deniffel und Marlene Greinwald (von links) bei der Podiumsdiskussion überzeugt © Herbert Fischer

Auf viele Tutzinger Dächer würden noch PV- oder Thermo-Solar-Anlagen passen

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Vielversprechender Ansatz: die Initiative "Tutzing klimaneutral 2035"

Ein neuer und vielversprechender Akteur dabei ist die Initiative „Tutzing Klimaneutral 2035“ von Marco Lorenz und Uta Waldau. (Foto 1 Bürgermeisterin Renate Deniffel spricht vor ca. 90 Leuten im Midgardstadl, Foto: Manuel Lorenz)(Foto 210404: Auf dem Podium sitzen v. li. nach re. Marco Lorenz, Uta Waldau, Lena Kerbs, Renate Deniffel, Marlene Greinwald, Foto: Herbert Fischer)

Beim Klima-Rundgang am 15. Juli konnten acht Gäste, darunter Bürgermeisterin Marlene Greinwald und mit Flora Weichmann und Michael Ehgartner auch zwei Gemeinderäte, die Anstrengungen zur Energiewende im Ort besichtigen. Ein Wohnhaus vom „Verband Wohnen“ neben dem Tutzinger Keller ist mit Thermo-Solar- und PV-Anlage bestückt. Der Verband nutzt die erstere für den Warmwasserspeicher, während die zweite Anlage an eine Energiegenossenschaft aus München verpachtet ist. Direkt profitieren die Hausbewohner nicht von den Anlagen, aber es werden die Mieten günstig gehalten.

Auf dem Weg zum Gymnasium konnten einige Dächer entdeckt werden, auf denen PV-Anlagen sind – sogar auf einem kleinen, erkennbar aus den 1950er Jahren stammenden Siedlerhaus. Man konnte aber auch Dächer sehen, auf die gut eine PV- oder Thermo-Solar-Anlage passen würde. Da dürfte es wohl an der Beratung gefehlt haben.

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In Tutzing gibt es mittlerweile zahlreiche PV- oder Thermo-Solar-Anlagen ... © L.G.
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... aber viele Dächer sind noch frei von solchen Anlagen © L.G.

PV-Anlage des Roncalli-Hauses einzige auf öffentlichen Gebäuden mit sichtbarer Leistungsanzeige

Auf dem südlichen Dach des Gymnasiums befindet sich eine 2011 errichtete PV-Anlage, die dem damaligen Sachaufwandsträger Gemeinde Tutzing durch ein Schüler-Projekt empfohlen wurde. Die mit 45 kWp sehr große Anlage wird mittlerweile von der Energiegenossenschaft Fünfseenland betreut. Ein festgelegter Anteil der Einnahmen geht an den Förderverein Gymnasium. Eine zweite PV-Anlage mit 30 kWp ist 2014 auch von der Energiegenossenschaft gebaut worden und ging an den Sachaufwandsträger, seit zwei Jahren das Landratsamt.

Nächste Station war das Roncalli-Haus. Dessen kleine PV-Anlage mit 6,8 kWp hat als einzige der drei Anlagen auf öffentlichen Gebäuden eine außen sichtbare Anzeige der Leistungsdaten. Die Einnahmen, die sich aus der gesetzlich festgelegten Einspeisevergütung ergeben, kommen Hilfsprojekten in Indien zugute. Die Datenanzeige fehlt nach einer Renovierung bei der PV-Anlage auf dem Rathaus-Dach. Sie ist allerdings mit 94 Modulen auch deutlich größer als die auf dem Roncalli-Hausdach und dient zum Teil der Stromversorgung der Verwaltung. Sie wird ebenso von der Energiegenossenschaft Fünfseenland betreut.

Das beachtliche Passivhaus am Grubenweg

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Höhepunkt: das Passivhaus der Initiatoren von "Tutzing klimaneutral 2035" am Grubenweg © Marco Lorenz

Auf dem Weg zu den beiden Wohnhäusern wurden immer wieder PV- und Thermo-Solar-Anlagen auf Privathaus-Dächern entdeckt – es machte richtig Spaß, sie zu finden. Vorletzte Station war im Grubenweg ein Chiemgauer Holzhaus, das als KfW-55-Gebäude gebaut wurde. Hier kommen Warmwasser und Fußbodenheizung aus einer Sole-Wärmepumpe. Über vier Erdwärme-Körbe, die bis in etwa sechs Meter Tiefe reichen, oben, in etwa einem Meter Tiefe, zwei Meter breit sind und unten spitz zusammenlaufen, wird Sole im Wärmetauscher in Warmwasser umgewandelt. Die Leistung variiert von 1 bis 9 Kilowatt modulierend. Der Wärmetauscher hat die Jahresarbeitszahl 4.9, das heißt er erzeugt 4 bis 9 Mal mehr Energie, als über die Sole kommt, und liefert rund 10 000 Kilowatt Heizenergie pro Jahr. Der Strom für die Sole-Wärmepumpe und den Eigenbedarf erzeugt eine PV-Anlage auf dem Dach mit 9,5 kWp. Durchschnittlich werden 15 bis 24 Kilowatt pro 24 Stunden gewonnen. Für die eigenen Anwendungen werden etwa 50 Prozent verbraucht, der Rest wird ins Netz eingespeist.

End- und Höhepunkt des Klima-Rundgangs war das Passivhaus von Uta Waldau und Marco Lorenz, den Initiatoren von „Tutzing klimaneutral 2035“. Der Heizwärmebedarf der Fußbodenheizung von 6750 Kilowattstunden (kWh) im Jahr wird entweder durch die Sonneneinstrahlung – mittels großer Fenster – oder im Winter bei starken Minustemperaturen von einer Luft-Wärme-Pumpe gedeckt. Den dafür benötigten Strom erzeugt die PV-Anlage - allerdings mit 28 900 kWh deutlich mehr als die Pumpe und die elektrischen Geräte im Haus plus Co-Working-Space (flexibel verwendbare Büroräume) verbrauchen können. Damit ergibt sich eine Einspeisung ins Netz von 23 200 kWh. Die Mehrkosten für den Passivhaus-Standard gegenüber einem KfW-40-Haus gab der Hausherr mit etwa 3 bis 5 Prozent an, zum gewissen Teil wegen einer deutlichen Förderung des Passivhaus-Standards.

Allen Beteiligten werden die drei Stunden in guter Erinnerung bleiben – und sie gingen mit dem Bewusstsein nach Hause, dass in Tutzing noch viel zu tun ist für den Klimaschutz.

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