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Pizzabäcker, Stromzählerableser, Bildhauer

Sieger Sebastian Hertrich über den Tutzinger Preis Phönix: „Ohne Förderer ist Kunst nichts“

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Ohne Förderer ist Kunst nichts: Phönix-Preisträger Sebastian Hertrich mit seiner aus Platinen bestehenden Plastik "Nike" © dgr / eat archiv

Der Nürnberger Bildhauer Sebastian Hertrich hat an der Evangelischen Akademie Tutzing den Phönix-Kunstpreis für Nachwuchskünstler erhalten. In seiner Laudatio auf den Preisträger lobte der Journalist und Jurist Heribert Prantl Hertrichs Werk als eine „Mahnung in digitalen Zeiten“.

Den Phönix-Kunstpreis vergibt das Tutzinger Unternehmen Eurobuch GmbH seit 2005. Stifter des Preisgeldes in Höhe von 20 000 Euro ist der Tutzinger Unternehmer Richard von Rheinbaben. Seit 2014 wird der Preis zusammen mit der Evangelischen Akademie Tutzing verliehen.

Für den aktuellen Wettbewerb hatten sich rund 330 KünstlerInnen aus dem In- und Ausland beworben. Mitglieder des Kuratoriums sind die Künstlerin Ursula von Rheinbaben, der Direktor des Buchheim Museums in Bernried, Daniel J. Schreiber, die ehemalige stellvertredende Akademiedirektorin Judith und Christian Ude, der frühere Oberbürgermeister von München.

Der diesjährige Sieger Sebastian Hertrich hatte sich in dem Wettbewerb mit 326 Einsendungen von internationalen Künstlerinnen und Künstlern durchgesetzt. Der 34 Jahre alte Künstler, in Haale (Saale) geboren, hat in Oberammergau eine Ausbildung zum Bildhauer absolviert. Anschließend studierte er an der Bauhaus-Universität Weimar Freie Kunst.

Künstler zu sein bedeute oft auch, im Niedriglohnsegment beschäftigt zu sein, sagte Hertrich. Da hat er selbst seine Erfahrungen gemacht: Früher war er als Pizzabäcker, Stromzählerableser, Weihnachtsbaumverkäufer und Arbeiter im Trockenbau tätig. Über die Auszeichnung mit dem Tutzinger „Phönix“ freue er sich enorm: Ohne Förderer sei Kunst „nichts“.

Glitzernde Computerplatinen meisterhaft verarbeitet

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Der Tutzinger Kunstpreis "Phönix" fördert talentierte Nachwuchskünstler durch Ankauf von Kunst für 20 000 Euro © https://www.phönix-kunstpreis.de

„Sebastian Hertrichs Werke faszinieren auf den ersten Blick“, erklärt die Jury in der Begründung für ihre Entscheidung. Die „zeitlose Ästhetik, ihre räumliche Präsenz und die ungewöhnliche Farbigkeit“ seien „umwerfend“. Der zweite Blick offenbare „überraschende Materialien“. Der Künstler habe glitzernde Computerplatinen und transparentes Acrylglas „meisterhaft verarbeitet“.

Besonders beeindruckt zeigt sich die Jury auch von einer „kritischen Auseinandersetzung des Bildhauers mit den Verheißungen der Digitalisierung“. Diesen Aspekt stellte auch der Laudator Heribert Prantl in den Vordergrund. Hertrichs Werke hätten ihm „Fluch und Segen der Digitalität näher gebracht als Paragrafen und Fachaufsätze“, sagte der Journalist und Jurist, der bis 2019 bei der „Süddeutschen Zeitung“ Mitglied der Chefredaktion war. Er wertete die Kunst des Nürnberger Bildhauers als eine „Mahnung in digitalen Zeiten“.

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Eine Mahnung in digitalen Zeiten

Dabei zog Prantl eine inhaltliche Parallele zum fünfzigjährigen Jubiläum des Datenschutzes. In den heutigen Zeiten, in denen Daten als das „Öl des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet würden, sei das Recht auf Privatsphäre „notleidend“ geworden und das Internet zum „Entblößungsmedium“ verkommen. Staat, Privatwirtschaft und Nutzer zeigten kaum Schuldbewusstsein für das „Verhutzeln“ der Privatsphäre zu einem „angeblich unzeitgemäßen Ding“. Aus der früheren „Datenaskese“ sei eine „Datenekstase“ geworden. Die unbekümmerten Nutzer sozialer Netzwerke vergäßen, dass sie „diese Dienste mit ihren Daten bezahlen“. Dennoch dürfe nicht in Vergessenheit geraten, dass dieses unbekümmerte Nutzen nicht automatisch Datendiebstahl und Überwachung legitimiere. Darüber hinaus seien die „Internet-Exhibitionisten noch lange nicht ‚die Gesellschaft‘“.

Demokratie brauche geschützte Räume, sagte Prantl. Damit der Mensch seine Bequemlichkeit und Lethargie überwinden könne und Sensibilität gegenüber seinem eigenen digitalen Nutzerverhalten entwickle, sei Kunst erforderlich, „die Kunst, die Gefühle anspricht und Bilder vor Augen hält“. Das bildhauerische Werk von Sebastian Hertrich sei insofern als „eine Mahnung in digitalen Zeiten“ zu verstehen. Deshalb sei es „große Kunst“.

Interview mit Sebastian Hertrich:
https://www.ev-akademie-tutzing.de/der-mensch-ist-fuer-mich-wichtig/

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