Von Ferdinand Goslich

Zu wenig Polizisten – „es ist empörend“

Bei der Podiumsdiskussion im "Tutzinger Hof" fordern die Fachleute bessere personelle Ausstattung

Bayern hat zwar etwa 43 000 Polizeibeamte. Aber das reiche längst nicht aus. Darin waren sich die Fachleute der Podiumsdiskussion „Polizei am Limit“ einig, die erstaunlich gut besucht war. Eingeladen hatte der SPD-Kreisverband Starnberg. Rund 50 Besucher wollten am Freitag im Gasthof „Tutzinger Hof“ hören, was der Polizei auf den Nägeln brennt. Auf dem Podium saßen neben Leuten, die alle mit der Polizei zu tun haben, auch Vertreter der beiden Polizeigewerkschaften. Uli Grötsch, der seit 2013 Bundestagsabgeordneter und außerdem Generalsekretär der Bayern-SPD ist, war selbst im Polizeidienst. Seitdem habe sich der Beruf enorm verändert. Die Beamten identifizierten sich extrem stark mit ihrem Beruf, sagte er, aber sie seien wegen personeller Unterbesetzung ständig unter Druck.

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Am Podium konzentrierten sich die Teilnehmer auf zahlreiche Themen. © Ferdinand Goslich

Als Georg von Vollmar in Tutzing war

Stefan Kemptner von der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) machte das mit einer Zahl plausibel. Meistens müssten die bayerischen Polizeidienststellen mit 75 Prozent ihrer Sollstärke über die Runden kommen. Wenn ihnen ein Viertel der Besetzung fehle, könne man wirklich sagen: „Die Polizei ist am Limit.“ Und das bei einem Anstieg der Kriminalfälle. Im Landkreis Starnberg etwa, erklärte Günther Gietl, der Präsident des Polizeipräsidiums Oberbayern Nord mit Sitz in Ingolstadt, sei im ersten Halbjahr 2018 ein Anstieg um 16 bis 17 Prozent registriert worden. Dabei habe es sich vorwiegend um Betrug, besonders Cyberkriminalität, Sachbeschädigung und Körperverletzung gehandelt.

In gewisser Weise erinnerte Elisabeth Fuchsenberger, SPD-Gemeinderätin in Berg, Kreisrätin im Landkreis Starnberg und Bezirkstagskandidatin, an die heutige Situation der Polizei mit einem für die SPD historischen Ereignis: 1891 sei der Reichstagsabgeordnete und spätere erste bayerische SPD-Vorsitzende Georg von Vollmar in Tutzing, im "Tutzinger Hof", gewesen, der damals noch „Gasthof zum Löwen“ hieß. Er habe damals über die Themen „Woran leidet das Volk“ und „Was die Sozialdemokraten wollen“ gesprochen. Im Netz kann man sich genauer darüber informieren: http://spd-tutzing.de/georg-von-vollmar-in-tutzing-1891/

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Fünf Polizeibeamte in der Nacht

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Eine ganze Reihe von Zuhörern waren zur SPD-Veranstaltung gekommen. © FG

An Ähnliches, was laut Vollmar damals das Volk bedrückte, erinnerte, wie eingangs erwähnt, Harald Schneider von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Sein Berufsstand leide unter personeller Knappheit. Seitdem er in den 80er Jahren bei der Polizei angefangen habe, sagte Schneider, habe sich nichts verändert. „Wir haben seitdem immer zu wenig Polizisten, es ist empörend.“ Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann behaupte zwar regelmäßig, man stelle immer mehr Beamte ein. Aber es reiche hinten und vorn nicht. Polizeipräsident Gietl gab dem Minister in einem Punkt Recht. Herrmann behaupte nämlich, Bayern sei sicher. Und Oberbayern sei noch sicherer, fügte Gietl hinzu. Er erinnerte aber auch daran, dass das Personal deshalb nicht ausreiche, weil immer mehr Aufgaben auf die Polizei zukämen, etwa durch das Flüchtlingsproblem oder die Cyberkriminalität. Vor zehn Jahren noch sei letztere ein Randproblem gewesen, heute dagegen ein Massenphänomen. Christiane Kern, die SPD-Landtagskandidatin für den Stimmkreis Starnberg und freigestellte Kriminaloberkommissarin, fügte hinzu, dass es in den letzten Jahren zunehmend Feiern, Volksfeste und andere öffentliche Anlässe gegeben habe. „Da brauchen wir mehr Polizei.“ Im Übrigen lasse die Ausstattung mancher Dienststellen sehr zu wünschen übrig: Diejenige in Gauting zum Beispiel sei ziemlich marode und habe ganz wenig Personal. Auf die Frage des Diskussionsleiters Oliver Bendixen, des BR-Polizeireporters, mit wie viel Leuten die Starnberger Dienststelle nachts besetzt sei, antwortete Bernd Matuschek, der Leiter der Polizeiinspektion Starnberg: einer auf der Dienststelle, zwei in Reserve, und eine Streife sei unterwegs. Das seien insgesamt fünf Beamte. Er sei aber dagegen, das Problem durch Zusammenlegung von Dienststellen zu lösen. Dann seien die Polizeibeamten in jedem Ort nicht mehr so oft präsent. Die Bürger müssten aber wegen ihres Sicherheitsgefühls doch immer wieder einen Polizeiwagen vorbeifahren sehen.

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Ein Mikrophon wurde herumgereicht. Von links: Moderator Oliver Bendixen, Harald Schneider (GdP) und Uli Grötsch, der Generalsekretär der bayerischen SPD. © FG

Reiterstaffeln bei FC Bayern-Spielen

Man könnte ja Personal abziehen aus Gegenden, wo nicht so viele Polizeibeamte gebraucht werden, regte Oliver Bendixen an. Das wolle man nicht, hieß es. Günther Gietl erklärte dazu, es gehe um 3500 Stellen, die gefordert oder versprochen seien. Und die sollten im Vergleich der bayerischen Polizeipräsidien belastungs- und bevölkerungsorientiert vergeben werden. Oberbayern Nord müsse dabei bevorzugt behandelt werden, meinte Harald Schneider, weil dort die Bevölkerungsdichte am höchsten sei. Man wisse doch, wie viele Beamte jeweils in Pension gehen, fügte Uli Grötsch hinzu, dann müsse man unbedingt diese Polizeistellen kontinuierlich nachbesetzen. „Das steht auch so in unserem Wahlprogramm.“

Befürwortet wurde der Einsatz von Reiterstaffeln. Bundesligaspiele des FC Bayern ohne solche seien undenkbar, meinte Polizeipräsident Gietl. Auf dem Pferd sitzend habe der Beamte einen viel besseren Überblick. Reiterstaffeln kosteten zwar wiederum Geld, aber das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung werde durch sie gestärkt. Man nehme auch an, dass ein Reiter wegen seiner exponierten Position in seiner Wirkung mehrere andere Polizisten ersetze. Auf die Frage nach der polizeilichen Prävention erklärte Christiane Kern, dass es im Gegensatz zu München auf dem Land wegen der Personalknappheit schwieriger sei, Beamte zur Vorbeugung in die Schulen zu schicken. Bei dieser Gelegenheit wies Frau Kern auch auf die Wohnungsnot der Polizeibeamten hin. Viele Beamte kämen ja auf Zeit aus Franken, wo es viel billiger sei, nach Oberbayern, wo sie kaum bezahlbaren Wohnraum fänden. „Ich mache immer Werbung für Polizisten“, erklärte sie, „dass sie pünktlich zahlende Mieter sind.“

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Sie mischten eifrig mit, von links: SPD-Landtagskandidatin Christiane Kern, Polizeipräsident Günther Gietl vom Präsidium Oberbayern Nord und Stefan Kemptner (DPolG). © FG

Verspielt das Polizeiaufgabengesetz das Vertrauen der Menschen?

Ein gravierendes Problem, hieß es, sei die gegen Polizisten ausgeübte Gewalt. Jeder zweite Beamte werde einmal im Jahr physisch oder psychisch attackiert, sagte Günther Gietl. Nicht nur Polizisten, sondern sogar Feuerwehr und Sanitäter würden angegriffen, empörte sich Uli Grötsch, der forderte, die Staatsanwaltschaften dürften so etwas nicht niederschlagen. „Wer sowas macht, muss bestraft werden.“ Solange die Gerichte nicht mitzögen, zeigte sich Bendixen pessimistisch, nütze es nichts, den Strafrahmen zu erhöhen. „Unsere Rechtsschutzfälle steigen exorbitant an“, warnte Stefan Kemptner. Der Dienstherr müsse da mehr machen. Der Freistaat, entgegnete Christiane Kern enttäuscht, sage, „lass doch die Gewerkschaften den Rechtsschutz übernehmen“. In der Runde positiv bewertet wurde das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG). Schneider meinte, die Mehrheit der Beamten sei der Ansicht, das PAG helfe ihnen. Die vermeintliche Erleichterung setze aber auch einiges aufs Spiel, nämlich das Vertrauen der Menschen. „Warum gehen 30 000 Menschen gegen das Polizeiaufgabengesetz auf die Straße?“, fragte Schneider. Auf die Frage Bendixens, ob das bayerische PAG ein Vorbild für den Bund sei, antwortete Uli Grötsch, wenn es ein Musterpolizeigesetz für den Bund geben solle, müssten sich alle Bundesländern bewegen – die, die ganz links, und die, die weiter rechts stehen. Das Thema sei so emotional hochgekocht, „weil Söder es durchgeprügelt hat“.

Einwürfe von Renate Geiger und Marlene Greinwald

Renate Geiger, die Tutzinger SPD-Gemeinderätin, wandte sich gegen die Einrichtung von Ankerzentren. Dort würden viel zu viele Menschen untergebracht. Zur Integration brauche man kleinere Einheiten, so wie Tutzing es bestens bewiesen habe. Flüchtlingskriminalität habe im Landkreis Starnberg praktisch keine Rolle gespielt, ergänzte Gietl. Bürgermeisterin Marlene Greinwald ging kurz auf ein derzeitiges Tutzinger Problem ein, die blinde Zerstörungswut, die es in letzter Zeit gegeben habe. Immer wieder sei es zu großen Sachbeschädigungen gekommen, etwa im Kustermannpark. Deshalb überlege man im Gemeinderat, einen Sicherheitsdienst zu engagieren. Gietl erklärte dazu, man müsse bayernweit darauf drängen, Gemeinderatsbeschlüsse zur Befürwortung von Sicherheitswachten zu bekommen. Eine solche Einrichtung sei keine Bürgerwehr (wie es sie neuerdings immer öfters in den neuen Bundesländern gibt, wie zu hören war) und keine Polizei, sondern ein Mittel, um die Sicherheit der Bürger zu erhöhen. Die Staatsregierung habe schon angeboten, die Sicherheitswachten um 1000 Leute aufzustocken. Die Angehörigen der Sicherheitswacht unterstützen die Polizei und tragen zur Verbesserung der Sicherheitslage bei.

"Die schärfste Waffe des Beamten ist das Wort"

Wie ein Resümee des Abends wirkte die Einschätzung des Gewerkschafters Harald Schneider. „Bei uns in Bayern werden die Polizisten noch begrüßt.“ Aber vielleicht drehe sich das Verhältnis irgendwann um, warnte er – möglicherweise durch ein zu drastisches Polizeiaufgabengesetz. Auf der Polizeischule habe er noch gelernt: „Die schärfste Waffe des Beamten ist das Wort, nicht die Waffe.“

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Kommentare

Leider habe ich die Veranstaltung verpasst. Ich finde den Mangel an Personal nicht weiter verwunderlich, wenn in Bayern die Bewerbung eines stattlichen motivierten und unbescholtenen jungen Mannes wegen einer Sehleistung von -1 und -1.25 Dioptrien ungesehen abgelehnt wird. Ich könnte es noch nachvollziehen, wenn man bei Verlust der Brille hilflos gemacht werden kann. Das ist man bei diesem Befund jedoch bei weitem nicht. Man sollte hier mit 'Augenmaß' auf mehrere Eignungsmerkmale achten.
Vielen Dank für diesen differenzierten Artikel über unsere Veranstaltung im "Tutzinger Hof", der für die SPD des Landkreises bereits im Jahre 1891 eine wichtige Rolle gespielt hat.
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