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Tiefer Spalt

Tutzinger Geschäftswelt angesichts der Unterschiede in den Corona-Regeln zwischen Freude und Sorge

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Ein tiefer Spalt zieht sich durch die Tutzinger Geschäftswelt: Die einen dürfen öffnen, die anderen nicht © L.G. / geoportal.bayern.de/bayernatlas

Der Spalt ist tief - auch in der Tutzinger Geschäftswelt. Vom heutigen Montag an dürfen die einen wieder für die Kunden öffnen, die anderen aber nach wie vor nicht. Und wieder andere können wie eh und je ihre Waren verkaufen, als sei nichts geschehen, wenn auch mit ein paar Einschränkungen.

Aufmachen könen ausgewählte Anbieter, so Friseure, Kosmetiker, Blumengeschäfte und Gärtnereien, Baumärkte, Baumschulen, Gartencenter und Fahrschulen. Floristen, Fußpflege, Friseure, Fahrschulen Andere Einzelhändler müssen ihre Läden dagegen weiter geschlossen halten, sie dürfen nur bestellte Ware abholen lassen oder liefern. Das gilt etwa für Bekleidungsgeschäfte ebenso wie für Spielwarengeschäfte, Buchläden oder Juweliere. Wieder andere konnten ohnehin schon die ganze Zeit weiter öffnen wie bisher, so Supermärkte, Drogeriemärkte oder Postagenturen.

„Wir freuen uns riesig“, sagt Roland, der Inhaber des Blumengeschäfts „Beautiful home & garden“ in der Greinwaldstraße. Am Montag hat er Ruhetag, aber am Dienstag kann er nach langer Zeit endlich wieder den ganz normalen Betrieb aufnehmen.

Erica Hoyer, die Inhaberin des Spielwarengeschäfts Hoyer an der Kirchenstraße, wirkt hin und her gerissen. Sie freut sich für alle, die von Montag an wieder öffnen dürfen - aber sie selbst weiß nicht mehr, wie es weitergehen soll. Schon für eine Öffnung am 15. Februar hatte sie alles vorbereitet. „Genau das Gleiche werde ich für den 8. März machen“, sagt sie, „ich hoffe schwer, dass wir dann aufmachen können.“

Renate Schibschid-Kerkhoff ist entsetzt über die von den Regierenden förmlich zu Markt getragenen Ungerechtigkeiten. „Ich verstehe die Logik nicht“, sagt die Inhaberin des Tutzinger Modegeschäfts „Frauensache“ an der Hauptstraße: „Jetzt können hunderte von Menschen in einen Baumarkt laufen, aber in unseren Laden, wo strenge Abstandsregeln gelten, dürfen nicht ein oder zwei Menschen kommen.“ Große Sorge bewegt die Unternehmerin, wenn sie an die Folgen für Tutzing denkt: „Hier stirbt alles weg - es ist schlimm, wenn die Innenstädte veröden.“

Hier stehen 20 Leute vor einem Regal - dort dürfen nicht mal zwei in den Laden

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Düster sieht es immer noch für etliche Tutzinger Geschäfte aus. Bei anderen gibt es Licht am Horizont. © L.G.

Wie mit zweierlei Maß gemessen wird, das sorgt in der ganzen Tutzinger Geschäftswelt für viel Kritik. „Nicht nachvollziehbar“ ist das alles für Martin Held, den Inhaber der Buchhandlung Held in der Hauptstraße. Rufe nach Gleichbehandlung werden immer lauter. „Bei Edeka stehen 20 Leute vor einem Regal - da schaut keiner“, wundert sich Renate Schibschid-Kerkhoff. Beim ersten Lockdown seien bei den Supermärkten noch die Einkaufswägen abgewischt worden, doch mittlerweile interessiere das keinen Menschen mehr. Auch für die deutlichen Unterschiede bei den staatlichen Förderungen schwindet jegliches Verständnis. Renate Schibschid-Kerkhoff kann es nicht fassen, „dass ein Nagelstudio keinen Cent bekommt, aber Galeria Kaufhof bekommt Millionen“.

Vielleicht sechs Kunden hat Erica Hoyer derzeit an einem Tag, zu normalen Zeiten waren es 35 bis 50 Kunden. Ihr Umsatzminus beziffert sie auf 80 Prozent. „Ich habe null Geld“, sagt sie. Von den mageren Einnahmen in diesen Tagen kann sie mit Müh und Not Strom, Telefon und ein paar andere Kosten bezahlen. Den Laden kann sie nur aufrechterhalten, weil ihr ihr Vermieter eine Stundung gewährt hat. Im ersten Lockdown hat sie eine gewisse Soforthilfe bekommen, aber zurzeit gibt’s nichts: „Wir kriegen keine Gelder vom Staat.“ Mit einem Stoßseufzer fügt sie hinzu: „Ich bin total an der Kante.“

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Gedanken über Sortimentsänderungen

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"Riesenfreude": Beim Team von "Beautiful home & garden" blühen die Hoffnungen auf nun wieder bessere Zeiten. Morgen geht's los, und auch Ostern ist nicht mehr fern. © L.G.

Gewisse Hoffnungen verbinden Tutzinger Geschäftsleute mit Gerichtsverfahren, etwa einer Klage des Hauptverband des deutschen Einzelhandels (HDE). Sich da dranzuhängen, traut sich Erica Hoyer aber nicht: „Ich habe Angst vor den Rechtsanwaltskosten.“ Renate Schibschid-Kerkhoff verfolgt mit großem Interesse eine Klage des Modeunternehmens Riani, von dem sie Ware für ihren Laden bezieht. Riani hat gemeinsam mit mehr als 100 Marken und Einzelhändlern eine Initiative „Handeln für den Handel“ gegründet und klagt gegen den Dauer-Lockdown. Riani-Geschäftsführerin Martina Buckenmaier will Gleichbehandlung mit Friseuren und anderen erreichen.

Auch Roland hat mit seinem Blumengeschäft in der Lockdown-Phase manche bemerkenswerten Erfahrungen gemacht. Zu ihm durften die Kunden nicht hinein, aber der Supermarkt Edeka hat gleichzeitig „frisch gebundene Floristensträuße“ angepriesen. Roland ist sogar angezeigt worden, weil er Produkte zum Abholen vor seinem Laden aufgestellt hat. Auch andere Tutzinger Geschäftsleute sind von Mitbürgern angezeigt worden.

Aber jetzt hofft Roland wieder auf bessere Zeiten. Von Dienstag an will er mit seinem kleinen Team voll durchstarten, natürlich unter Einhaltung aller Hygieneregeln. Er hat sich auch schon etwas Besonderes ausgedacht: An jedem ersten ersten Donnerstag im Monat will er mit einem "Pink Thursday“ Sonderrabatte für bestimmte Produkte anbieten.

Auch andere Tutzinger Geschäftsleute tragen sich mit allen möglichen Gedanken, wie diese schwierige Phase überstanden werden kann. Das geht bis zu Sortimentsänderungen hin zu solchen Produkten, die auch im Lockdown ganz normal verkauft werden dürfen, besonders Lebensmitteln. Solche Ideen haben zum Beispiel im Modegeschäft „Frauensache“ die Runde gemacht, wie Inhaberin Renate Schibschid-Kerkhoff erzählt: „Wir haben schon überlegt, ob wir Nudeln oder Brühe verkaufen sollen.“

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Kommentare

Mich würde interessieren was das für Mitmenschen sind, die unseren schwer angeschlagenen Einzelhandel auch noch anzeigen??
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