
Der Tutzinger Gemeinderat hat für den geplanten Neubau einer Wohnanlage mit Tiefgarage in der Siedlung am Bareisl gestern mehrheitlich das gemeindliche Einvernehmen erteilt. Dies hat der Gemeinderat allerdings mit einer Reihe von Anforderungen zur weiteren Prüfung des Vorhabens durch das Landratsamt Starnberg, das für die Genehmigung des Plans zuständig ist. Bei dem Beschluss gab es 12 Zustimmungen und fünf Gegenstimmen.
Voran ging dem Beschluss eine ausführliche, teils kritische Debatte über das Vorhaben. Diese Diskussion wurde offenkundig durch Kommentare auf vorOrt.news nach einer positiven Entscheidung des Bau- und Ortsplanungsausschusses vor einer Woche zu dieser Planung beeinflusst. Der Zuschauerraum des Rathaus-Sitzungssaals war gestern mit fast 30 Personen recht gut besetzt. Mehr als die Hälfte von ihnen waren aus der Anwohnerschaft am Bareisl. Auch einige Kinder waren dabei.
Da Zuschauer in den öffentlichen Gemeinderatssitzungen nicht das Wort ergreifen dürfen, nutzten drei Personen aus der Anwohnerschaft des Bareisl die Möglichkeit der „Bürgerfragerunde“ vor der Sitzung zu Anmerkungen, die ebenfalls eine gewisse Wirkung für die nachfolgende Diskussion im Gremium gehabt haben dürften. „Weder städtebaulich, noch sozial, noch ökologisch“ passe der geplante Neubau in seiner Dimension zu diesem gewachsenen Wohnquartier, kritisierte einer der Sprecher. Eine Anwohnerin warf Fragen nach der Gerechtigkeit beim Wohnen im Vergleich wohlhabender und weniger vermögender Menschen auf. Ein anderer Anwohner zitierte aus einem Notarvertrag aus dem Jahr 1972, dass die Eigentümer der Bareisl-Siedlung wegen der Lage am Steilhang Vorkehrungen zu treffen hätten, dass Schäden an anderen Gebäuden vermieden würden.
Offenkundig aufgrund der Unruhe in der Anwohnerschaft des Bareisl und der vielen geäußerten Kritikpunkte beschrieb Bauamtleiter Christian Wolfert ausführlich begrenzte baurechtliche Möglichkeiten einer Gemeinde bei solchen Bauvorhaben. Auch ein Bebauungsplan könne eine Bebauung nicht verhindern, sagte Wolfert zu entsprechenden Forderungen. Ein Baurecht könne man nicht einfach „wegwischen“, allenfalls könne man es um zehn Prozent reduzieren, sonst mache sich die Gemeinde schadenersatzpflichtig.
Verständnis für die Kritik, aber Hinweise auf begrenzte kommunale Möglichkeiten

In der Diskussion klang in mehreren Redebeiträgen Verständnis für die Sorgen der Anwohner durch. Etliche Aspekte wurden kritisch angesprochen. Ob überhaupt Bodenuntersuchungen gemacht worden seien? Wie die Folgen für den Verkehr sein würden? Welche Konsequenzen der Bau für die Umwelt und die Tiere haben werde? Die Wohnqualität in der Siedlung werde sich verschlechtern, während der Bauphase werde es über längere Zeit Lärm, Dreck und Staub geben, sagte Christine Nimbach (fraktionslos). Nach der bayerischen Verfassung müsse ein Eigentümer auch das Gemeinwohl beachten: „Das heißt, die Fläche ist frei zu halten.“
Doch immer wieder wiesen Gemeinderatsmitglieder auf die beschränkten Möglichkeiten einer Kommune in solchen Fällen hin. Mehrmals wurden auch drohende Haftungsrisiken für Gemeinderatsmitglieder im Fall einer Ablehnung befürchtet. Diese Gefahr schätzten einige Ratsmitglieder – so Michael Ehgartner (Grüne) - allerdings als nicht allzu groß ein.

"Wir entscheiden nicht nach Lust und Laune"
„Da sieht man wieder mal, dass wir im Gemeinderat zahnlose Tiger sind“, kommentierte Barbara Doll (fraktionslos), die für die Bedenken der Anwohnerschaft großes Verständnis zeigte. Es sei eine Minderung der Wohnqualität, bestätigte Stefan Feldhütter (Freie Wähler), doch nach rechtlichen Aspekten könne man das Baurecht nicht verweigern. Ob die betreffende Fläche, auf der sich derzeit alte Bäume und ein großer Spielplatz befinden, aus sozialen Gründen frei bleiben sollte, diese Frage stelle sich nicht, sagte Dr. Wolfgang Behrens-Ramberg (Tutzinger Liste): „Allenfalls es kauft jemand und sagt, dass es Grünfläche bleiben soll.“ Dr. Ernst Lindl bekräftigt: „Wir entscheiden nicht nach Lust und Laune, sondern im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben:“
Stefanie Knittl (SPD), die als einzige schon im Bauausschuss gegen das Vorhaben gestimmt hatte, entgegnete: „Ich bin keine Juristin, sondern als Gemeinderätin gewählt, und ich sehe eine gewisse Verantwortung den Bürgern gegenüber.“ Dafür gab es aus dem Publikum den Zwischenruf „sehr gut“. Gewiss gebe es Baurecht, fügte Knittl an: „Aber Eigentum verpflichtet auch.“ Das sei eine Sache der Abwägung. Ähnlich argumentierte Caroline Krug (ÖDP): „Aufgabe des Gemeinderats ist nicht nur, sich nach den Gesetzen zu verhalten, sondern auch Solidarität mit den Bürgern.“ Besser wäre eine Aufstockung von bisher niedrigeren Gebäuden oder ein Neubau im nördlichen Bereich der Siedlung, meinte sie. Zur Kritik aus der Anwohnerschaft fügte sie anerkennend hinzu: „Die Bürger waren mutig – wir sollten auch mutig sein.“
Ungewöhnlich deutliche Wünsche der Gemeinde ans Landratsamt

Die Debatte endete schließlich zwar mit einem zustimmenden Beschluss zu dem Neubauprojekt. Doch dieser Beschluss wurde mit weitreichenden Ergänzungen versehen. So wird das für die Baugenehmigung zuständige Landratsamt ungewöhnlich deutlich zu weiteren Prüfungen aufgefordert. Die Kreisbehörde soll auf Wunsch des Tutzinger Gemeinderats untersuchen, ob sich der Neubau – vor allem in Bezug auf die Höhenentwicklung – in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Maßgebliich dafür ist der Paragraf 34 des Baugesetzbuchs. Der Bauwerber hatte eines der Gebäude zum Vergleich herangezogen, nach dem die Einfügung in die Umgebung möglich ist. Auch das Landratsamt war bereits im Vorfeld mit dem Vorhaben befasst. Dennoch bittet der Gemeinderat nun „dezidiert“ um eine nochmalige Überprüfung.
Wegen des geplanten Gebäudes und der Tiefgarage in der Nähe des Bareislgrabens und des stark abfallenden Hangs zum Bach bittet die Gemeinde Tutzng das Landratsamt darüber hinaus auch um eine Beteiligung der notwendigen Fachstellen, von der Unteren Naturschutzbehörde bis zum Wasserwirtschaftsamt: Es sollen etwaige Nachweise nachgefordert werden, „damit keine negativen Auswirkungen auf den Hang durch das Bauvorhaben entstehen“. Schließlich wird in dem Beschluss auch noch angemerkt, dass durch das Gebäude und vor allem durch die große Tiefgarage eine Versiegelung des bisher wasserdurchlässigen Gebäudes am höchsten Punkt in dieser Gegend entstehe. Das Landratsamt wird gebeten, im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens auch in diesem Fall die einschlägigen Fachstellen zu beteiligen. Gegebenenfalls soll die Kreisbehörde eine hydrogeologische Untersuchung sowie eine Bodenuntersuchung veranlassen, um die Gefahr von abfließendem Tiefen- und Hangwasser für die „Unterlieger“, also tiefer gelegene Gebäude, zu verhindern.
Die in den Beschluss aufgenmmenen Forderungen der Gemeinde ans Landratsamt entsprechen in weiten Teilen den Punkten, die in den Kommentaren auf vorOrt.news immer wieder angemahnt worden sind und die in der Bürgerfragerunde nochmals deutlich erwähnt wurden. Die Anwohner wurden auch ermutigt, dem Landratsamt einschlägige private Verträge wie den erwähnten Notarvertrag zukommen zu lassen. Dies könne durchaus auch im öffentlichen Recht einen Einfluss haben.
Trotz des zustimmenden Beschlusses, der vielen in der Siedlung zweifellos nicht gefällt, kamen nach der Sitzung aus der Anwohnerschaft positive Äußerungen zum Verlauf der Aussprache. So eine Debatte, sagte einer, der die Sitzung besucht hat, hätte man sich auch schon im Bauausschuss eine Woche zuvor gewünscht., Doch dort sei längst nicht so intensiv über das Vorhaben diskutiert worden.
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Kommentare
Und wenn ich das noch sagen darf: Im Rückblick auf mein Berufsleben sind es neben den Alltagsroutinen und Erfolgen auch gerade jene im Gedächtnis haftenden Momente, in denen man sich begründet gegen vermeintliche Mehrheiten gestellt hat, gegen den sog. Strom aufstand und schlicht und ergreifend "Nein" sagte. Was für großartige Erinnerungen!
Es waren 17 Mitglieder des Gemeinderates anwesend und haben über das Bauvorhaben abgestimmt.
Sehr positiv sehe ich das Abstimmungsverhalten der fünf Mitglieder (ausschließlich Frauen), die gegen den Bauantrag waren.
DANKE dafür, es sind die heimlichen Sieger für mich!!!
Es gehört viel Mut das Richtige (seinem eigenen Gewissen verpflichtet) zu machen, auch wenn andere der Meinung sind es sei falsch und es würde gegen Gesetze verstoßen. Wie oft erlebt man beispielsweise die Fehler der anderen beim Autofahren, aber selber übersieht man die eigenen. Sind dann die eigenen Fehler keine Gesetzesverstöße, oder nur die Fehler der anderen (z.B. Vorfahrt zu missachten, Geschwindigkeits-überschreitung, etc.)? Persönlich wird man dabei sehr selten erwischt und es betrifft nur den einzelnen. Das Beispiel hinkt etwas, aber jeder kann sich da an die eigene Nase fassen.
Wenn einige mehr (vier Stimmen) dagegen gestimmt hätten und dass aus Verständnis für die Betroffenen, was hätten diese Gemeinderäte verloren? Nichts, denn wie in der Sitzung gesagt wurde: im nächsten Schritt wäre in STA der Bauantrag durchgekommen. Natürlich macht es Arbeit eine Begründung für die Ablehnung zu formulieren, aber so viel müssten die Wähler doch wert sein, oder doch nicht?
Was jedoch in Vortrag über §34 im BauGB (Baugesetzbuch) Abs. 1 vergessen wurde zu sagen ist - Zitat: „… Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; …“. Zählt Lärm und Abgase durch die Tiefgarage, Wegfall von Baumbestand und Grünfläche nicht dazu?
Quelle: „https://www.gesetze-im-internet.de/bbaug/__34.html
Die Zukunft der Siedlung
Ich fange mal zum Thema Zukunft mit einem guten Zitat von Woody Allen an:
„Ich denke viel an die Zukunft, weil das der Ort ist, wo ich den Rest meines Lebens zubringen werde.“
(Quelle des Zitates: https://www.zitate7.de)
Toll, das wünsche ich mir wirklich sehr, aber sicherlich viele in der Siedlung auch.
Für die Siedlung sehe ich, wenn es nur in eine Richtung geht, in der Entwicklung schwarz.
Es sollen 18 neue Wohnungen im luxuriösen Stil entstehen, die weder in das derzeitige soziale Gefüge noch optisch in die Siedlung passen sowie 61 neue Tiefgaragenplätze (bei einen vermutlichen Preis von mind. ca. 100,- oder gar 120,- € pro Monat).
Viele Mieter können sich die TG-Plätze sicherlich nicht leisten und die Wohnungsmietpreise kennen nur eine Richtung: nach oben.
Also warum ausgerechnet 61 TG-Plätze?
Bei kritischer Reflexion der Baupläne könnte man auf die Idee kommen, dass das mittelfristige Ziel der Umbau der Siedlung ist und die anderen drei Gebäudekomplexe der „O-Form“ ersetzt werden sollen mit einem gegenüberliegenden Wohnblock im ähnlichen Baustil des Neubaus sowie die beiden Seitenblöcke. Insgesamt könnte somit eine komplette Anlage mit ca. 50 bis 60 luxuriöser Wohnungen entstehen. Bei einer leicht reduzierten Wohnfläche ist es dann auch möglich an den „Neubau“ nachträglich eine Stahlkonstruktion/Fertigbetonteile für die Balkone zu errichten.
Die ersten bestehenden Wohnblöcke wurden ca. 1962 erbaut und ca. 1964 bezogen. Der Neubau könnte der Anfang für das Ende der jetzigen Siedlung sein. Ich hoffe, dass es nicht der Fall sein wird, obwohl es nach einem realen Szenario klingt.
Da die Gemeinde eine aktuelle Wohnungsnot sieht, wäre eine echte Alternative die Aufstockung der bestehenden Häuserblöcke, was kurz auch angesprochen wurde.
Der Antrag dazu wurde vor ca. 20 Jahren von der Gemeinde abgelehnt. Warum es abgelehnt wurde ist noch unbekannt; die Antwort wird hoffentlich im Archiv gefunden werden. Die Aufstockung der Gebäude wäre vielleicht ein guter Kompromiss zum Neubau und ohne Verlust der Oase.
In den letzten 20 Jahren hat sich auch viel in der Baubranche im Bezug der Aufstockung in Fertigteilholzbauweise und Sanierung getan. Sehr oft wird das Dach angehoben und ein Kniestock (Übergang von Außenwand zum Dach im Raum) auf 1,00 m bis 1,20m gesetzt. Alternativ: Pultdach (praktisch für PV Anlagen) oder verkürztes Pultdach bzw. zusätzlich mit Gauben bei Satteldächer versehen.
Was viele Mieter der oberen Etagen nicht wissen ist, dass die Heizungsrohre bereits in einigen Wohnungen für eine Aufstockung vorhanden sein könnten (zumindest bei uns).
Wie komme ich darauf: Im Winter sind an der Wand neben dem Fenster senkrechte Stellen warm, was auf eine Wärmequelle hindeutet (auf der Seite des Heizungsventils).
Für eine Aufstockung muss der Eigentümer das Okay geben und die Gemeinde über Ihren Schatten springen und die alte abgelehnte Baugenehmigung auf den neusten Stand prüfen.
Kostenmäßig ist es sicherlich interessant. Nur ein Problem besteht dann weiterhin: fehlende Parkplätze für alle Mieter. Vielleicht steht im alten Bauantrag eine Lösung.
Zusammenfassend würde mich noch das Folgende sehr interessieren: Was ist der genaue Wortlaut in dem Kaufvertag der Reihenhäuser Am Bareisl (Hausnummern 1 bis 35) aus dem Jahr 1972 zum Thema Hang/Hanglage/Bodenbewegung und warum wurde die Aufstockung vor ca. 20 Jahren abgelehnt?
Es wäre klasse, wenn sich die Presse mit dem Thema „Aufstockung und Kaufvertrag“ ausführlich beschäftigen könnte.
They paved paradise
And put up a parking lot
With a pink hotel*, a boutique
And a swinging hot spot
Don't it always seem to go
That you don't know what you've got
Till it's gone
They paved paradise
And put up a parking lot
They took all the trees
Put 'em in a tree museum *
And they charged the people
A dollar and a half just to see 'em
https://www.youtube.com/watch?v=tvtJPs8IDgU&list=RDtvtJPs8IDgU&start_radio=1
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Sie haben das Paradies gepflastert
Und einen Parkplatz daraus gemacht,
Mit einem rosaroten Hotel, einer Boutique
Und einem schwirrenden "Hitzepunkt" (!)
Ist das nicht immer so,
Dass man gar nicht weiß, was man hat,
Bis es weg ist?
Sie haben das Paradies gepflastert
Und einen Parkplatz daraus gemacht
Sie haben alle Bäume genommen,
Sie in ein Baummuseum gesteckt
Und von den Leuten 1,50$ verlangt,
Nur um sie anschauen zu können.