Das war eine schöne Überraschung vor knapp einem Jahr: „Gegen Höchstgebot“ stellte die Deutsche Bahn das „ehemalige Empfangsgebäude“ des Tutzinger Bahnhofs zum Verkauf – ohne die Gemeinde Tutzing darüber zu informieren. „Durch Zufall" habe sie diese Ausschreibung entdeckt, sagte Bürgermeisterin Marlene Greinwald im September dem Hauptausschuss des Gemeinderats – erkennbar verärgert. Sie hatte nämlich seit Jahren immer wieder erklärt, dass sie den Bahnhof gern für die Gemeinde kaufen würde. Doch jahrelang habe bei der Bahn in dieser Hinsicht „Schweigen im Walde“ geherrscht, beklagte sie sich.
Aber auf einmal sollte alles sehr schnell gehen: Die Bahn setzte für Angebote eine Frist bis zum 4. Oktober vorigen Jahres fest - gerade mal ein paar Wochen. Hektische Bemühungen waren die Folge. Die Gemeinde versuchte ein Vorkaufsrecht durchzusetzen – vergeblich. Gleichzeitig beschloss sie eine so genannte Erhaltungssatzung, um wenigstens Einfluss auf die künftige Gestaltung des Bahnhofsviertels bis hin zum alten Postgebäude nehmen zu können.
Unterdessen mehrten sich bei der Bahn die Angebote von Interessenten. Unter ihnen war eine Tutzinger Familie, die schon Erfahrung mit der Übernahme und Sanierung alter Bauwerke hat. Die Chancen der Tutzinger wirkten gut, die Verhandlungen mit ihnen entwickelten sich zunächst positiv. Alles schien bereits klar zu sein, der Vertrag lag im Entwurf vor, die Tutzinger warteten schon auf den Beurkundungstermin beim Notar – da platzte die Sache: Die Bahn sagte ab. Ein anderer Interessent hatte die Tutzinger überboten. Angeblich soll ein Münchner Architekten-Ehepaar zum Zug kommen - im wahrsten Sinn des Wortes.
Die Bahn teilte der Gemeinde den Stopp des Bahnhofsverkaufs mit, wie aus Kreisen des Gemeinderats zu hören ist. Was nochmals für Erstaunen sorgt. Der Deal ist nämlich noch gar nicht besiegelt: Der Verkauf sei noch nicht final abgeschlossen, bestätigt die Deutsche Bahn selbst auf Anfrage. Sie rechnet mit dem endgültigen Abschluss im Herbst dieses Jahres.
Gelegentlich werden Bahnhöfe zu Spekulationsobjekten
In Tutzing geht man von einem Kaufpreis etwa in der Größenordnung von einer Million Euro aus. Das ist im Vergleich mit vielen anderen verkauften Bahnhöfen relativ viel. Durchschnittlich lag der Preis je Bahnhof in den vergangenen Jahren bei rund 66 000 Euro. Dieser Wert ergibt sich rechnerisch, wenn man die Verkäufe von etwa 2250 Bahnhöfen im Zeitraum zwischen 1999 und 2019 zugrunde legt. Bei diesen Verkäufen hat die Deutsche Bahn insgesamt etwa 150 Millionen Euro eingenommen, wie aus einem 2019 erschienenen Bericht der Zeitung „Welt am Sonntag“ hervorgeht. Inzwischen sollen etwa 2300 Bahnhofsgebäude verkauft worden sein.
Gelegentlich scheinen Bahnhöfe zu Spekulationsobjekten zu werden. Aus solchen Gründen gab es beispielsweise vor ein paar Jahren Aufsehen in Penzberg: Die Stadt hat den dortigen Bahnhof für 420 000 Euro gekauft, nachdem die Bahn ihn vier Jahre zuvor für rund 180 000 Euro an einen Münchner Unternehmer veräußert hatte. Die Deutsche Bahn selbst macht zum Kaufpreis keine Angaben.
Ebenso wenig will sie sich zum künftigen Nutzungskonzept äußern Ganz einfach dürfte das nicht werden. So müssen „gewisse bahnspezifische Nutzungen“ weiter erhalten bleiben, wie die Bahn mitteilt. Darüber hinaus müssen zahlreiche Aspekte geklärt werden: Wendehammer, Bushaltestellen, Taxiplätze, sogar eine Zufahrtsberechtigung zu einem Nachbarhaus. Ungelöst ist auch das Thema der öffentlichen Toiletten, ein Tutzinger Dauerbrenner. Die „Tutzinger Liste“ hat auf ihrer Webseite mitgeteilt, die Bahn lehne jegliche Investition außerhalb von Bahngleisen und Bahnsteigen ab. Die Vorhaltung von Toiletten sei laut Bahn Angelegenheit der Gemeinde – die Tutzinger Liste hält dies aber für eine Aufgabe der Bahn. Seit langer Zeit plädiert die Gruppe auch für einen dritten Aufzug am Bahnhof und für Barrierefreiheit auf seiner Westseite.
Eine Neugestaltung des gesamten Tutzinger Bahnhofsareals könnte zur Debatte stehen
So ganz heraushalten will sich die Bahn offenbar trotz des Verkaufs nicht. Die neue Konzeption werde zwischen dem Käufer und ihr abgestimmt werden, teilt sie mit.
Eine Neugestaltung des gesamten Bahnhofsareals könnte zur Debatte stehen. Mit der Erhaltungssatzung hofft die Gemeinde das Ensemble mit dem historischen Bahnhofsgebäude und dem alten Postamt sichern zu können. In Tutzing kursieren schon alle möglichen Vorschläge und Ideen. So wurde zum Beispiel schon der Abbruch des eingeschossigen Anbaus angeregt.
Die Entwicklung bereits verkaufter Empfangsgebäude ist nach Einschätzung der Bahn „sehr unterschiedlich“. Als „besonders schön gelungene Beispiele“ bezeichnet sie in Bayern beispielsweise die Bahnhofsgebäude von Murnau, Seeg im Allgäu, Landsberg am Lech, Seubersdorf, Parsberg, Mittenwald Nördlingen oder Tapfheim. Genutzt werden die früheren Bahnhöfe für unterschiedlichste Zwecke. Hier werden sie für Wohnungen verwendet, dort für Standesämter, anderswo für Künstlerateliers oder für Kindergärten. Viele halten auch mehrere neue Bahnhofs-Nutzungen in der Nachbarschaft von Tutzing für gelungen: In Bernried ist das Gebäude zu einem Schokoladenparadies geworden, in Feldafing hat die Gemeinde in dem Bauwerk neue Verwaltungsräume gefunden, in Possenhofens historischem Bahnhof befindet sich heute das Kaiserin Elisabeth Museum.
Die Bahn stoppt den Verkaufsprozess
Von den seit 1999 verkauften rund 2300 Bahnhofsgebäuden sind nach Angaben der Bahn rund 500 Objekte direkt an Kommunen und rund 1800 an private Investoren gegangen. Dieser Verkaufsprozess soll aber nicht fortgesetzt werden. Künftig will die Deutsche Bahn nach eigenen Angaben an ihren Empfangsgebäuden der Bahnhöfe festhalten, um die Nutzungskonzepte leerstehender Bauwerke aktiv mitzugestalten. „Bahnhöfe sind Visitenkarten der Städte und Kommunen und für die Reisenden das Eingangstor zum System Bahn“, erklärt sie. Deshalb werde die Deutsche Bahn gemeinsam mit den Städten und Gemeinden Konzepte erarbeiten, wie neues Leben in die Gebäude einziehen könne. Dabei verweist die Bahn auch auf eine „Strategie der Starken Schiene“ und eine „am Gemeinwohl orientierte Infrastruktur“. Daher stünden keine weiteren Empfangsgebäude und Bahnhöfe zum Verkauf an.
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Sorry liebe DB, aber hier in Tutzing hat das leider überhaupt nicht geklappt:
Wenn man selbst nur stur auf seinen eigenen Rechten beharrt und immer nur schön darauf achtet selbst maximalen Profit bei minimalsten eigenen Kosten/Investitionen zu erzielen, steht das eben einem "gemeinsam Konzepte erarbeiten" komplett im Weg.
„Bahnhöfe sind ... für die Reisenden das Eingangstor zum System Bahn“
Sorry liebe DB, aber auch hier in Tutzing wurde Ihr eigenes Eingangstor seit Jahrzehnten von Ihnen selbst schwer vernachlässigt und schaut dementsprechend geradezu abschreckend aus. Dass hier kultivierte Menschen (sog. Fahrgäste) überhaupt ein- & aussteigen, liegt allein an den jeweiligen Notwendigkeiten. (Beispielsweise Leben hier + Arbeit/Studium in München; oder auch am Würmsee als Ausflugsziel, usw.)